Japan

Episoden:

Tsunami

Am 2. Weihnachtstag 2004 ereignete sich der Tsunami in Südostasien, der sich im nächsten Jahr zum 10. Male jährt. Die Eindrücke sind bereits überlagert durch Fukushima und den Tsunami, der die japanische Katastrophe auslöste. Kleinere Tsunamis finden jedes Jahr statt, größere sind zu erwarten. In der Geschichte sind Tsunamis zahllos.

Die sogenannte Storega-Rutschung vor 8.000 Jahren war ein Mega-Tsunami. Damals entstand daraus die Nordsee. Die Verbindungen zwischen England und dem Kontinent wurden unterbrochen. Die Erdbeben vor Kreta im Jahre 365 n.Chr., der Untergang Lissabons 1755 und der Ausbruch des Krakatau 1883 waren jeweils durch Tsunamis begleitet. Auslöser können Erdbeben, unterseeische Hangrutschungen, aber auch Vulkanausbrüche und der Impakt durch einen Meteoriten sein. Die Skala der katastrophalen Folgen ist nach oben offen.

Linda Maria Koldau, Universität Utrecht, über die Entstehung, Geschichte und Prävention von Tsunamis.

Die S-Kurilen

Möglicherweise hat Japan im Jahre 1941 die Sowjetunion vor einer Niederlage bewahrt, weil neutral blieb. Japan glaubte, dass auch die Sowjetunion neutral bleiben würde. In den letzten Tagen vor Japans Kapitulation erklärte die Sowjetunion dem japanischen Kaiserreich den Krieg und machte Beute: Unter anderem besetzte die Sowjetunion vier nördlich von Japan gelegene Kurilen-Inseln. Die eigentlichen Besatzer, die Amerikaner, hatten auf diesen kalten Inseln keine Wachposten aufgestellt, weil sie sie für unwichtig hielten. War die Besetzung der vier Inseln ein Kriegsakt ? Oder war es Diebstahl, wie Japan behauptet ? Weil es Diebstahl war und nicht Krieg gegen die Japaner, kann auch kein Frieden geschlossen werden. Dieser Zustand dauert nunmehr seit fast 50 Jahren an. Wie heißt es im Lied ? “Fuchs, du hast die Gans gestohlen, gibt sie wieder her …”. Doch keine Obrigkeit in Russland persönlich bekannt, sind sie zum nationalen Symbol geworden. Japan aber will Russland keine Wirtschaftshilfe geben, ehe die Inseln nicht zurückgegeben sind. Ein skurriler Streit. Takeo Hyodo, Abteilungsleiter im Außenministerium in Tokio (zuständig für “Europa und ozeanische Inseln”), Wjatscheslaw Kostikow, der Pressesprecher von Präsident Jelzin, der russische Publizist Daniil Granin und die Russlandexpertin Rosemarie Tietze berichten über den Konflikt um die vier Inseln.

Roher Fisch und Rinderzunge Führen ein Telefongespräch

Yoki Tawada erhielt für ihre Erzählung “Der Hundebräutigam” den höchsten Literaturpreis Japans, der in der Bundesrepublik in etwa dem Büchner-Preis entspricht. Sie berichtet aus ihren Texten, zu ihrer Sibirienfahrt, auf der sie sich mit 19 Jahren Europa näherte und zu Eigenarten der japanischen Sprache. Eine radikale, überraschende, junge Autorin, die in Japan für europäisch und in Europa als japanisch gilt, offenkundig jedoch in kein Schema einzugliedern ist. Japan und Deutschland waren im 2. Weltkrieg Verbündete, aber das bedeutet nicht, dass sie sich verstehen, sagt die Autorin. Es ist so: “Roher Fisch und Rinderzunge führen ein Telefongespräch”. Wie der Vers gemeint ist, wird in der Sendung erläutert.

Das geschriebene Gesicht

Der Schweizer Filmemacher, Daniel Schmidt, portraitiert in seinem Film “Das geschriebene Gesicht” (“The Written Face”) eine Besonderheit des Kabuki-Tehaters in Japan. Seit dem 18. Jahrhundert werden hier alle Frauenrollen durch Männer gespielt. Die Kunst des Schminkens, des Tanzes und der Charakterdarstellung sind im Kabuki-Theater auf bezaubernde Weise zur Form abstrahiert. “Ein Film von Daniel Schmid, der ganz allmählich den Zuschauer in Trance versetzt” (DER SPIEGEL). Mit dem berühmten Kabuki-Frauendarsteller Tamasaburo Bando.

Das Projekt Wild Ost

Japan erwachte Mitte des 19. Jh. aus dem Mittelalter. Mit der Meiji-Dynastie begann eine rasante Industrialisierung. So ausgerüstet besiegte Japan dann 1904/5 das russische Zarenreich vernichtend. Über 100 Jahre lang rivalisierten offen und geheim Japan und Russland um die Beherrschung Sibiriens. Die Bodenschätze: verlockend. Die gegenseitigen Machtmittel 1904, 1918, 1941 und 1945: äußerst verschieden.

Der russische Komponist Rimski-Korsakow schrieb eine parodistische Oper über den japanisch-russischen Konflikt: Ein Zar verliebt sich in eine grausame, aber jugendschöne Königin aus dem Fernen Osten. Die Oper DER GOLDENE HAHN, die ein Märchen von Alexander Puschkin wiedergibt, wurde von der Zensur in Russland verboten und hat prophetische Aussagekraft: Der Zar verliert Thron und Leben.

Die Japanologin Dr. Tatiana Linkhoeva berichtet über diese Oper, den Kampf um Sibirien und die russischen und japanischen Hoffnungen, die sich beide nicht erfüllten.

Tokio, Baustelle am Abgrund

Was wäre gewesen, wenn nach der Kernkraftkatastrophe von Fukushima, ausgelöst durch Erdbeben und Tsunami, der Wind (statt aufs Meer) nach Süden in Richtung von Tokio gedreht hätte? Hätte man die Metropole und ihr Umfeld räumen können? Tokio wurde in einem Sumpfgelände im Mittelalter von japanischen Herrschern unter dem Namen Edo gegründet. 1923 wurde die Stadt durch ein Erdbeben fast ganz zerstört. Später, zu Ende des 2. Weltkriegs brannte Tokio in Folge von Bombenangriffen ab. Es ist offenkundig, dass aus Anlass von Fukushima Tokio erneut in Gefahr war. Was ist der Reiz dieser Stadt? Aus welchen Elementen besteht Tokio? Wie funktioniert der Loop, der das Stadtzentrum umkreist? Der Japanologe und literarische Autor Prof. Dr. Peter Pörtner über die Metropole Japans, die er als zauberhaft bezeichnet, die aber wegen der Erdbebengefahr auch den Beinamen “Baustelle am Abgrund” trägt.

Ich bin eine Kamikaze-Fliegerin

Yutaka Tsuchyia, ein linksgerichteter Filmemacher, dokumentiert eine ultrarechtsradikale Punk-Band in Japan. Hauptperson seines Films ist Karin, die Sängerin. Nach drei Selbstmordversuchen ist sie der Punk-Band zugelaufen. Hier fühlt sie sich aufgehoben. Sie tritt in den Shows der Gruppe als Kamikaze-Fliegerin auf und singt ihre Kampflieder. Yutaka Tsuchyia vertritt die Auffassung, daß man gerade über die politischen Extreme Öffentlichkeit herstellen muß. Eindrucksvoller Blick in eine uns nicht bekannte, japanische Szene.

Goethe als Japaner

Scham- und Schuldgefühle gehören für Goethe zu den Untugenden, die man vermeiden soll. Er ist skeptisch gegenüber der Vergangenheitsbewältigung. Diese Haltung, sagt der Japankenner Dr. Manfred Osten, ist einer der Gründe, warum Goethe in Japan überaus populär ist und als aktuell gilt. Goethes Biographen sprechen von einem ostasiatischen Einschlag in Goethes Seele, evtl. Überbleibsel einer Wiedergeburt. Dr. Manfred Osten berichtet.

Ich bin der Mann des grotesken Realismus

Als er 1994 aus Stockholm den Anruf erhielt, ob er den Nobelpreis annehme, war sein hirngeschädigter Sohn am Telefon und antwortete: Nein, danke. In dem Buch, an dem er gerade schreibt, geht es um einen Sektenführer in Japan (ein Sektenführer war für die U-Bahn Giftattentate verantwortlich). Er erkannte sich in einem anderen Menschen wieder und es ist nicht sicher, ob die verschiedenen Individualisten, sagt Kenzaburō Ōe, nicht durch unterirdische Flüsse miteinander verbunden sind. Verknüpft ist auch die Realität mit dem Antirealismus des Gefühls. Ich könnte, sagt Ōe, vor Verzweiflung oder vor Lachen sterben. In seiner Erzählung DER STOLZ DER TOTEN (man kann auch übersetzen: “Schamlosigkeit, Üppigkeit, Luxus, Macht der Toten”, die japanischen Schriftzeichen sind vieldeutig) geht es um einen Studenten und eine Studentin, die in der Anatomie Leichen in verschiedene Becken sortieren. Der “groteske Realismus”, für den Ōe ausdrücklich den Nobelpreis erhielt, kommt zustande, weil Ōe die Risse im Gebälk der Wirklichkeit niemals zukittet. Mao Zedong und Sartre hat Ōe persönlich gekannt. Ein Gespräch von ungewöhnlichem Unterhaltungswert.

Megastars der Liebeskunst

Oiran heißen die gebildeten und schönen Kurtisanen in Edo, der Hauptstadt der japanischen Shogune; die Stadt heißt heute Tokio. Männer mussten um diese Frauen lange werben, sie waren einerseits käuflich, hatten aber eine Würde, die unverkäuflich blieb. In ihrem Spielfilm “Sakuran” beschreibt die Filmemacherin und Künstlerin Mika Ninagawa das Leben einer jungen Prostituierten, die sich als Mega-Star an die Spitze der Oiran setzt. Am Ende versucht sie mit einem Gefährten dem Vergnügungs-Getto zu entfliehen. Auf einem solchen Versuch steht die Todesstrafe. Mika Ninagawa über ihren auf den internationalen Festivals viel beachteten Film “Sakuran”.

Der Tod von Admiral Yamamoto

Admiral Yamamoto gilt im kriegerischen Japan von 1941 als Nationalheld. Der amerikanische Kriegsminister Knox setzte alle Spionagehebel in Bewegung, um eine Gelegenheit zu finden, diesen Befehlshaber der modernen japanischen Flotte umzubringen. Bei einem Flug legten amerikanische Jagdflugzeuge dem Admiral einen Hinterhalt. Die Totenfeier auf dem Gelände des Kaiserlichen Palastes markiert den Höhepunkt des japanischen Krieges in Asien und im Pazifik. Nagisa Oshima, der berühmte japanische Spielfilmregisseur, hat in seiner Dokumentation “Daitoa senso” (“Der große Ostasien-Krieg”) Yamamoto ein Denkmal gesetzt. Er berichtet.

Ungleichzeitigkeit, Gegensinn und Allgegenwart

Prof. Dr. Peter Pörtner gehört zu den führenden Japanologen in der Bundesrepublik. Er interpretiert japanische Begriffe und Ausdrücke, die in Europa ohne solche Einordnung nicht verstanden werden.

Ordnung und Zerstörung

Das Ballett von Saburo Teshigawara ist berühmt. In dem vorliegenden Tanzprojekt tragen die Tänzer Schuhe aus Eisen. In die Sohle eingebaut finden sich Mikrofone. Dies erzeugt den unverwechselbaren Ton, der an Eisen und Schwerkraft erinnert.

Vom Samurai zum Business-Krieger

Im japanischen Mittelalter bis zum Jahr 1850 bestand die Kriegerkaste der Samurai. Berühmt ist die Geschichte des “letzten Samurai”, die Geschichte von “Toda-San”, der mit der Würde einer 1000jährigen Tradition in einem japanischen Handelshaus endet.

Japan, sagt der Japankenner und Sozialforscher, Dr. Joachim Kersten, besitzt Traditionen einer ungebremsten, aggressiven Männlichkeit. Zugleich hat diese Land Formen der Beherrschung dieser Aggressionen entwickelt, wie sie in keinem westlichen Land bekannt sind. Hier gibt es eine unbewusste Fortsetzung von Tugenden des Samurai im heutigen Business-Krieger. Der Tod durch Überarbeitung tritt an die Stelle des klassischen Sepukku.

Die Verschwörung der 47 Getreuen

Das beliebteste Drama im Kabuki-Theater geht zurück auf die Legende von den 47 Ronin. Diese Samurai verschwören sich, den Tod ihres Herrn an dem korrupten Zeremonienmeister Kira zu rächen. Sie tarnen sich jahrelang, indem sie alle Attribute ihres tatsächlichen Standes ablegen. Sie betrinken sich, verkuppeln ihre Frauen, lassen sich beleidigen, die Schwerter verrosten. Wie weit kann ein Mensch sich verwandeln, wenn es um ein Ziel geht? Als niemand die 47 Getreuen noch für ernst nahm und die Spione des Kira längst abgewinkt haben, kommen die Kämpfer in die Hauptstadt und bringen den Todfeind um. Danach begehen sie Harakiri. Das letzte, was der japanische Kaiser vor Japans Kapitulation von 1945 besucht, ist das Grab dieser verehrungswürdigen Helden.

Der Japanforscher Prof. Dr. Joachim Kersten berichtet von dieser Heldensage und den darauf gegründeten Theaterdramen und setzt sie in Bezug zu der keltischen Heldensage vom Schmied Wieland. Dieser Arbeiter wird betrogen und durch den korrupten König gelähmt. Er rächt sich bitter, entwickelt wie Daedalus Flügel, schwängert die Tochter des Königs und flieht in ferne Lande. Wie unterscheiden sich solche europäischen Helden von japanischen?

Chemischer Mord im japanischen Massenverkehr

Die U-Bahn in der japanischen Hauptstadt Tokio führen sämtlich zu Kaufhöfen. Sie gehören Kaufhauskonzernen. Der Giftgasanschlag fand jedoch in U-Bahnstationen des Regierungsviertels in der Nähe des Kaiserpalastes statt. Das Machtzentrum Japans sollte durch den Anschlag herausgefordert werden.

Wie ist die japanische Polizei organisiert? Was will die Sekte, die der Anschläge verdächtigt wird? Wie funktioniert Sarin?

Der Japankenner und Sozialforscher Dr. Joachim Kersten (mit dem Spezialgebiet ostasiatische Kriminologie) über Zusammenhänge und Hintergründe des Giftanschlags.

Die Samurai

Viele hundert Jahre lang bildeten die Samurai die politische und gesellschaftliche Elite Japans. Der Ehrenkodex des” Bushido”, die rituelle Selbsttötung in aussichtsloser Lage (Seppukku) und zahlreiche berühmte Legenden und Heldengeschichten, darunter die von den 47 Getreuen, charakterisieren die lange Geschichte dieses Kriegerstandes. Prof. Dr. Wolfang Schwentker, Universität Osaka, einer der besten Kenner der japanischen Geschichte, berichtet.