Episode: Mathematik der sinnlichen Kraft

Man spricht von den fĂŒnf Sinnen eines Menschen. TatsĂ€chlich sind es viel mehr sinnliche KrĂ€fte an der Arbeit, wenn wir uns bewegen, das Gleichgewicht halten und unsere Lebendigkeit ausĂŒben. Die Evolution zeigt sich als eine Wunderkammer verblĂŒffender Kooperationen zwischen den sinnlichen FĂ€higkeiten der Lebewesen. Der WĂŒstenskorpion ist z.B. ein sinnlicher Mathematiker seiner SinneskrĂ€fte. Im trocknen Sand, der sich in der WĂŒste wie eine WasserflĂ€che verhĂ€lt, referieren winzige HĂ€rchen an den acht Beinen des Tiers den genauen Ort und den Weg einer Beute. Über vier Lebensjahre verfĂŒgt dieser Skorpion. Als Nahrung braucht er pro Jahr eine fette Motte. Also viermal Beutemachen im Leben. DafĂŒr besitzt das blinde Tier staunenswerte PrĂ€zisionswerkzeuge der Ortung. Ganz anders die Schleiereule. Die ErnĂ€hrung ihrer Jungen und des Weibchens fordert von dem nĂ€chtlich jagenden mĂ€nnlichen Tier, dass es alle zehn Minuten eine Maus fĂ€ngt und zum Nest bringt. Die Koordination des Ohrs der Schleiereule weist dafĂŒr eine extrem genaue Winkelgenauigkeit auf. Es ist merkwĂŒrdig, dass diese Treffsicherheit des Ohrs auch zu den Eigenschaften von uns Menschen gehört. FĂŒr Krokodile und Vögel wĂ€re der Abstand zwischen den Ohren zur genauen Orientierung im Raum unzureichend. Die Natur hat bei ihnen daher eine Direktkommunikation der Ohren durch einen Tunnel oder “Konzertsaal” im Kopf erfunden. Der Bio-Physiker Prof. Dr. Leo van Hemmen untersucht die feinabgestimmte biologische Basis, in der die Neuronen in extrem kurzer Zeit und mikrostrukturell im Gehirn diese Mathematik der sinnlichen Kraft ausĂŒben. Die sinnlichen KrĂ€fte erweisen sich in ihrer Praxis als erfahrene Mathematiker. Wir Menschen in der Zivilisation machen von unseren sinnlichen FĂ€higkeiten nur teilweise Gebrauch. Was wir dabei nicht verlernt haben, ist das Lernen selbst: die PlastizitĂ€t des Gehirns. Fahrradfahren oder Schwimmen lernen bleiben hochkomplexe, kooperative Aktionen zwischen den Sinnen. Das Belohnungssystem beim Lernen liegt, sagt Leo van Hemmen, darin, dass die Sinne von sich aus ein VergnĂŒgen daran haben, zusammenzuwirken: Wenn ihnen etwas Ganzes gelingt. Die Belohnungen, die wir verstehen, und die tatsĂ€chlichen (offenbar auf anderer Ebene ebenfalls lustvollen) VorgĂ€nge auf der Mikroebene zwischen den Neuronen und Synapsen sind dabei zwei verschiedene Welten. Alles dies wird biophysikalisch durch einen imposanten Aufwand an Mathematik regiert, von dem unser Verstand nur wenig wahrnimmt. Begegnung mit dem Bio-Physiker Leo van Hemmen.