Show: Arbeit ist das halbe Leben

Arbeit ist das halbe Leben

Zwischen dem Können (der Arbeitskraft) der Menschen und den wechselnden Gestalten der Sklaverei und der Lohnarbeit liegen Welten. Heute rufen das Internet der Dinge und die 4.0 Industrie vernetzbarer digitaler Produktion die Frage nach der Zukunft der Arbeit auf den Plan. Diese Zukunft ist ohne die Geschichte, in der die einzelnen Elemente, aus denen Arbeit besteht, sichtbar werden, nicht zu verstehen.

Die Wiener Professorin Andrea Komlosy kommt gerade von einer Konferenz über solche Fragen aus St. Petersburg zurück. Sie hat eine Geschichte der Arbeit geschrieben, die von 1250 bis zur Moderne reicht. Wie Identität und Selbstbewusstsein, auch Emanzipationschancen der Menschen, mit der Institution Arbeit verknüpft sind, wird plastisch, wenn man an das Verschwinden der klassischen Industriewelt in Europa und die Verlagerung kasernierter und entfremdeter Arbeit nach Asien nachdenkt.

Begegnung mit Andrea Komlosy.

Arbeiten und Schlafen

Klassische Arbeit, auf die sich der Produzentenstolz von Menschen und ihre Integration in die Gesellschaft gründet, ist wie ein Eisberg. Den Unternehmer interessiert nur die Spitze, die betriebliche Leistung. Der Eisberg hat aber einen gewaltigen Unterbau, größer als das, was man sieht. Wenn man diesen Unterbau nicht beachtet, wird der Bauch der Titanic aufgeschlitzt. Wenn man die Menschen im Rust Belt der industriellen Wüste der U.S.A. nicht wahrnimmt, erlebt man Überraschungen wie den Wahlsieg von Donald Trump. Eine der großen Gegenpole der Arbeit, die aber bei jedem Menschen zum Lebenszusammenhang gehört, ist der Schlaf (entsprechend die Pausen, das Ausruhen, die Familie). Der Soziologe Prof. Dr. Dirk Baecker, Inhaber des Lehrstuhls für Kulturtheorie und Management an der Universität Witten/Herdecke, untersucht die Zukunft der Arbeit auf dem Hintergrund der gesamten Innenausstattung des menschlichen Könnens, das sich in dem bloßen Arbeitsergebnis nicht erschöpft. Ein Mensch trägt immer sein Ganzes dorthin, wo er arbeitet.

“Nur Arbeit und kein Spiel macht dumm” (Karl Marx)

Die Freiheit ist nicht nur ein Wunsch, sondern sie ist uns Menschen bis in die Ausgestaltung unseres zentralen Nervensystems hinein von der Evolution mitgegeben. Ein Ausdruck dieser Freiheit ist die Lust am Spielen. “Nur Arbeit ohne Spiel macht dumm”. Die Beobachtung zeigt, dass Arbeit und Selbstbeherrschung immer schon das Spiel voraussetzen. Sonst gelingen sie nicht. Prof. Dr. Buland vom Institut für Spielforschung an der Universität Mozarteum in Salzburg berichtet.

Mensch 4.0

Die Digitalisierung verändert die Gesellschaft, die Ökonomie und darin sowohl die Produktion als auch den Konsum. Man nennt das die vierte Industrielle Revolution. Von der Dampfmaschine und der ersten Industriellen Revolution hergesehen, gewiss ein Umbruch.

Diese Umwälzung bringt auch Veränderungen im Inneren der Menschen hervor: den Mensch 4.0. Der Soziologe Dirk Baecker zeigt aber, dass dabei, zumindest auf dieser subjektiven Seite, der des Menschen und seiner Kommunikation, alle früheren Stufen der Entwicklung erhaltenbleiben: “Zur Gegenwart gehören alle Zeiten”.
Dirk Baecker unterscheidet dabei vier Stufen:

1. Die Stammesgesellschaft, hier gilt das “Prinzip Mündlichkeit”. Kinder wachsen heute noch immer so auf.

2. Die Welt der Antike hier setzte sich das “Prinzip Schriftlichkeit” durch. “Was gilt, muss zu lesen sein”.

3. Die Welt der Renaissance. Die Massenproduktion an Druckerzeugnissen von Gutenberg gehört in diese Epoche.

4. Die Digitalisierung. Sie prägt unsere Gegenwart, aber sie kann keine der früheren Stufen entbehren.

Digitalisierung und die sogenannte Disruption zerstört ganze Märkte und Wirklichkeiten und sie bringt neue hervor. Starke Auswirkungen hat sie auf die Zukunft der Arbeit. Aus dem Bild traditioneller Berufe rückt zumindest in den Industrieländern, die Arbeit heraus. Sie wird projektbezogen, entfesselt und in die Wüste der Flexibilisierung entlassen. Sie verändert auch die Stellung der Chefs. Sie werden von klassischen Entscheidern zu “Ermöglichern”, die in der Pyramide keine Spitze mehr bilden, sondern die Türme der Arbeit umkreisen. Wo finden dann die Entscheidungen statt? Bisher haben nur Demagogen (falsche) Antworten auf diese Fragen.

Auch in der Vergangenheit konnte Arbeit zerstörerisch (z.B. im Krieg und in Schumpeters “Schöpferischer Zerstörung”) oder produktiv sein (in der Entwicklung immer neuer Technologien). Heute wird der menschliche Wille (und damit auch große Teile des “guten Willens”) von der Arbeit und der Realität abgekoppelt. Das ist für den Mensch 4.0 verwirrend. Es ist aber beruhigend, wenn Dirk Baecker, der bedeutendste Vertreter aus der soziologischen Schule von Niklas Luhman, mit guten Beispielen darauf hinweist, dass alle übrigen Zeiten (und ihre seelischen Strukturen) in unserer Gegenwart mitwirken. Nur in der Renaissance gibt es ähnlich viele Wirklichkeiten, die bei der Herstellung von Gegenwart miteinander ringen.

Welche Farbe hat die Arbeit?

Mit der großen Maschinerie und der Industrialisierung in Europa, verbunden mit der in Fabriken konzentrierten Arbeit, entstand im 19. und 20. Jahrhundert auch ein Produzentenstolz und ein kämpferisches Selbstbewusstsein. Für die Fahnen in den Kämpfen der Arbeiter galt lange, die Farbe Rot. Joseph Vogl, antwortet auf die Frage, welche Farbe für ihn die Arbeit hat: Grau. Die Zukunft und das Geld glitzern. Die Arbeit dagegen steckt in der jeweiligen Gegenwart fest. Lebenswelt und Arbeit sind miteinander verschränkt, die Idee “der Mensch ist flexibel” ist eine Illusion. Die digitale Revolution und zeitgleich die Auswanderung der Arbeit in die Regionen, in denen sie billig ist, verändern die klassische Industrie und alle Formen der Arbeit. Diese Abhängigkeit gilt nicht gleicherweise für das Kapital. Es kann ausweichen in seine vergangenen Formen, nach Übersee und es vermag die Zukunft zu beleihen. Das Kapital ist ein Chamäleon. Joseph Vogl schrieb das aufsehenerregende Buch “Das Gespenst des Kapitals”. Wie stark die Zukunft der Arbeit, ja die ganze Subjektivität der Menschen und ihre Lebenswelt, abhängig sind von der Zukunft, die sich das Kapital sucht, hört sich an wie ein faszinierender Roman und ist zugleich lebenswichtig für unsere Orientierung. “Nichts entmutigt so sehr, als ein Spiel nicht zu überschauen, von dem das Leben abhängt.” Begegnung mit Prof. Dr. Joseph Vogl, Autor und Hochschullehrer an der Humboldt-Universität Berlin.

Das Mysterium des Fortschritts

Die vorindustrielle Welt kennt keinen Fortschritt im modernen Sinn. Die enorme Entwicklung von der Steinzeit bis 1800 zeigt sich nur in großen Perioden. Jede Vermehrung

Zeit kaufen, wenn das Leben begrenzt ist

Der Kapitalismus ist intelligent. Er findet immer wieder Auswege, oft dadurch, dass er auf frühere Epochen seiner Entwicklung zurückfällt. Eine Begabung fehlt ihm jedoch fast ganz: Übersicht und Selbststeuerung. Der Ökonom Dr. Philipp Stab vom Institut für die Geschichte und Zukunft der Arbeit (IGZA) in Berlin hält die 4.0-Welt von Silicon Valley für einen nur vorübergehenden Ausweg und Fortschritt gegenüber der Dauerkrise. Die neuen Ökonomien und die Algorithmen der digitalen Welt zielen wenig auf die Verbesserung der Produktion. Ihr Ziel ist vielmehr die Mobilisierung der letzten Zeitquanten und Wunschlisten im Konsumbereich. Hier aber entsteht eine machtvolle Gegenwirkung: Man müsste Afrika viel Industrie geben, wenn Afrika im großen Maßstab Industriegüter kaufen soll. Aller Austausch beruht letztlich auf Gegenseitigkeit und dabei lässt sich das kostbarste ökonomische Gut, die Lebenszeit, nicht absolut vermehren. Das setzt, so Philipp Staab, der Algorithmenwelt und dem Internet der Dinge Grenzen.

Ich kann nicht streiken, wenn mein Arbeitsplatz zuhause ist

Durch Globalisierung und Digitalisierung hat sich in Europa die klassische Struktur der Betriebsarbeit nachhaltig verändert. Prof. Dr. Kocka, der als Historiker zu der Bielefelder Schule gehört, welche an die legendäre französische Schule der Annalen anknüpft, stellt diesen Wandel in einen Zusammenhang, bei dem man erkennt, dass in unserer Welt neben der digitalen Neuerung alle früheren Formen der Arbeit (bis hin zur Sklaverei) nebeneinander koexistieren.

Vor allem auf der subjektiven Seite der Menschen bleiben wesentliche Merkmale der Arbeit “unbezahlt” und “klassisch”. Stark verändert haben sich Ort und Zeit, in der die Arbeit stattfindet. Bei der Entstehung der Industriearbeit war die örtliche Nähe in den Fabriken und die physische Übersicht über die Produktionsprozesse ein Charakteristikum, das sich auf das Selbstbewusstsein der Arbeiter, ihre Fähigkeit zur Kooperation und Solidarität auswirkte und für die “Gegenwehr der Arbeit” entscheidend war. Der Strukturwandel der Arbeit in Europa und in Industriezonen trifft gerade diese Seite der Arbeit im Kern.

Begegnung mit Prof. Dr. Jürgen Kocka.

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und andere Fragen aus der Lebenswelt von Frauen

Die Sozialforscherin Christine Morgenroth hat eine wissenschaftliche Untersuchung beendet, die sich mit der Situation von Frauen in industriellen Betrieben und mit der Frage der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz beschäftigt. Sie gelangt zu dem bisher nicht bekannten Ergebnis, dass die Loyalität gegenüber den Kollegen bei Frauen deutlich stärker ausgeprägt ist, als bei den männlichen Kollegen. Christine Morgenroth schildert plastisch die verschiedenen Auswege, mit deren Hilfe Frauen auf sexuelle Belästigung antworten. Sie schildert gleichfalls eine gewisse Ausweglosigkeit, mit der Männer im umgekehrten Verhältnis auf wirkliche und eingebildete Herausforderungen von Frauen antworten. Sie petzen, Frauen nicht.