Show: Europa, unbeschriebenes Blatt

1.000 Jahre Portugal

Lusitanien, die ehemals römische Provinz am Atlantik, kommt schon im Hochmittelalter zu neuer Bedeutung. Wenig später ist das Königshaus über ganz Europa mit den führenden Familien versippt. Dabei bleibt das Gelände, das später Portugal heißen wird (anders als viele andere europäische Länder), ein in sich geschlossenes, mit sich selbst identisches Gebilde. Mit dem Fürsten und Unternehmer Heinrich dem Seefahrer und mit Vasco da Gama beginnt eine Eroberung der Welt zur See. In einem vom Papst garantierten Vertrag wird die damals bekannte Welt in zwei Hälften aufgeteilt: Die eine gehört zum spanischen, die andere zum portugiesischen Reich. Die Grenzziehung kann man heute noch in Lateinamerika verfolgen, wenn in Brasilien Portugiesisch, in den übrigen Teilen des Kontinents Spanisch gesprochen wird. “Sebastian, der Ersehnte”, der aus einer grässlichen Niederlage in Marokko nicht zurückkehrt, gehört zu den markanten Zeichen von Portugals tausendjähriger Geschichte ebenso wie das Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755 und die aufgeklärt-autokratische Herrschaft des Marquis de Pombal, der Exodus des königlichen Hofes, als Napoleons Armeen vor Lissabon stehen, nach Brasilien. Die von England diktierte imperiale Arbeitsteilung lässt Portugal die Industrialisierung versäumen. Für verblüffende und dramatische Wendungen wie die Nelken-Revolution ist Portugal auch in der Moderne immer noch gut. Bewundernswert, wie die Schuldenkrise von diesem Land gemeistert wurde. Prof. Dr. Walther Bernecke, Historiker an der LMU München, berichtet. Erstausstrahlung am 08.06.2016

Die Macht am Mittelmeer

Das Nachkriegseuropa und die EU basieren auf der Achse zwischen Frankreich und der Bundesrepublik. Das war für Frankreich historisch nicht selbstverständlich. Frankreich war immer auch ein mittelmeerisches Land und die Idee einer Mittelmeer-Union, eines lateinisch dominierten Mittelmeerreichs war für die französische Tradition stets lebendig: Outremer. Wolf Lepenies, lange Zeit Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin und Hochschullehrer in Princeton und an Berliner Universitäten, knüpft in seinem Werk DIE MACHT AM MITTELMEER an Fernand Braudels Klassiker LA MEDITERANNEE DANS LE SIECLE DE PHILIP II, das Standardwerk der bekanntesten Historikerschule Frankreichs, der ANNALEN, an. Aus diesem Werk kommt auch die Perspektive der “longue durée”. Dieser Perspektive folgt die Untersuchung von Wolf Lepenies quer durch das Dickicht wechselnder Aktualitäten. Bei Braudel steht die Seeschlacht von Lepanto im Zentrum, an der sich entschied, ob das Mittelmeer osmanisch oder westlich beherrscht wird. Tatsächlich ist diese Frage nie endgültig entschieden worden, auch wenn die Identität der Mächte wechselte. Noch heute zeigt der Flüchtlingsstrom und der Krisenherd im nahöstlichen Bereich verblüffend, wie löcherig, umstritten und bebengefährdet die Macht am Mittelmeer ist. Das Buch versucht, die Sache mit den Augen Frankreichs zu sehen. Da findet sich Napoleons Zug nach Ägypten. Jahrzehnte später marschieren die Legionäre Napoleons des Dritten in Syrien und Afrika ein. Einen Moment lang scheint es, dass Mittelmeer, Afrika, Frankreich und die Welt der großen Weltausstellungen hier im Süden eine neue Wirklichkeit schaffen. Das geht mit dem preußisch-deutschen Sieg bei Sedan verloren. Aber noch in den Jahren nach 1945 verfolgen Charles de Gaulle und Robert Schuman, der Mitbegründer der Montan-Union, Projekte, die sich auf Afrika, den Nahen Osten und eine Mittelmeer-Union beziehen. Eine Arbeit des politischen Publizisten Alexandre Kojève, von der man nicht weiß, ob sie Charles De Gaulle vorlag und ihn beeinflusste, entwickelt ein plastisches Modell der Mittelmeer-Union als Schwesterprojekt zur E.U. Als Präsident Sarkozy Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands dieses Projekt neu aufgreifen wollte, wurde es durch deutschen Starrsinn blockiert. Man muss sich, sagt Wolf Lepenies, vorstellen, was die Wirkung einer Mittelmeer-Union, ausgehend von Frankreich, unterstützt von der E.U., gewesen wäre, wenn es sie zum Zeitpunkt des “Arabischen Frühlings” gegeben hätte. Möglicherweise sähen wir dann heute kein bombardiertes Aleppo. Lateinamerika, bezogen auf die spanische Sprache, steht dem Projekt Latein-Afrika, bezogen auf die Frankophonie, gegenüber. Insofern ist eine Kooperation im Süden und im Nahen Osten in Gefahr, aber nicht endgültig verschlossen. Es bedarf einer Abkehr von der politischen Oberflächlichkeit und von der Hybris, mit der Europa vor allem dem Kontinent Afrika begegnet, damit solche heterotopischen Chancen wahrgenommen werden. Begegnung mit Wolf Lepenies und seinem spannenden Werk DIE MACHT AM MITTELMEER. FRANZÖSISCHE TRÄUME VON EINEM ANDEREN EUROPA.

Erstausstrahlung am 28.02.2017

Wieviel Krisen verträgt die Welt?

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz versammeln sich jährlich die für die Sicherheit in der Welt verantwortlichen Politiker, Militärs & Experten. Im Gespräch mit Sebastian Kurz.

Europa ja – aber welches?

Dieter Grimm, Bundesverfassungsrichter a.D. und Rektor a.D. des Wissenschaftskollegs zu Berlin, Hochschullehrer an der Humboldt-Universität Berlin, hat mit seinem Buch EUROPA JA – ABER WELCHES in der Legitimationskrise der EU einen energischen Vorstoß unternommen. Er fordert einen erneuerten politischen und rechtlichen Grundriss für die EU. Er fragt nach den Reserven für zusätzliche Legitimation für das, was in Brüssel geschieht. Der Eintritt der Bundesrepublik nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs in den Kreis der Völker war nur möglich durch die europäische Tür. Am Anfang stand dabei ein umfassendes Vorhaben, das die Integration von Kohle und Stahl mit dem Projekt einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft (aus jedem Lande der europäischen Gemeinschaft steht ein Soldat in der Kompanie neben dem anderen) und einer POLITISCHEN UNION umfasste. Die politische Union kam nicht zustande. Aus der europäischen Verteidigungsgemeinschaft wurde die NATO. Übrig blieb die Wirtschaftsgemeinschaft. Sie beruhte auf den Römischen Verträgen. Die Legitimation resultierte aus Verträgen zwischen souveränen, selber demokratisch kontrollierten Einzelländern. Als 1987 die Europäische Union zu stagnieren schien, entstand mit den Maastrichter Verträgen eine neue Struktur: Jetzt waren Mehrheitsbeschlüsse möglich. Es konnte sein, dass ein Land Regelungen hinnehmen muss, die von ihm und seiner Wählerschaft nicht gebilligt wurden. Um dieses Legitimationsdefizit zu mindern, wurde aus der Parlamentarischen Versammlung das Europäische Parlament gegründet und von Periode zu Periode mit mehr Zuständigkeiten versehen. Problematisch blieb, sagt Dieter Grimm, dass dieses Parlament durch bloß addierte nationale Wahlen zustande kommt. Die nationalen Parteien wiederum, die der Wähler wählt, sind nicht identisch mit den europäisch organisierten Fraktionen in Straßburg. Die europäischen Wähler wählen also etwas anderes als das, was anschließend politisch geschieht. Der wichtigste Mangel an Legitimation aber entstand durch zwei bahnbrechende Urteile des Europäischen Gerichtshofes. Dieses Gericht machte aus Dekreten der EU Rechtsnormen mit Verfassungsrang. Diese sind einklagbar durch die Rechtssubjekte in den einzelnen Staaten, somit vor allem auch durch die marktbeherrschenden Unternehmen. Dies schafft eine Schlagseite der EU zu vorwiegend wirtschaftlichen Fortschritten und eine Vernachlässigung der politischen, sozialen und kulturellen Aspekte, wie sie in den Verfassungen der Einzelstaaten und in der nationalen Struktur vorgegeben sind. Mit großem Ernst stellt der Verfassungsrichter a.D. Prof. Dr. Dieter Grimm die Frage: Was ist zu tun, damit die Souveränität (“Wer hat im Ernstfall den Letztentscheid über Angelegenheiten von Leben und Tod?”) sich mit der pragmatischen Alltagspraxis der machtvollen EU-Administration adäquat verbindet? Ist es richtig, die Entscheidungen an dem zu orientieren, was sich leicht entscheiden und wofür sich Einigungen problemlos erreichen lassen? Oder wäre es auch möglich, “an der Widerstandslinie entlang”, gerade durch Strapazierung der EU an den am schwersten lösbaren Fragen (Baskenland, Süditalien, Osteuropa, Grenzregime, Griechenland, Schuldenberg) Erfahrungen und Legitimationen zu erarbeiten? Jürgen Habermas spricht von einer doppelten Souveränität, und einem doppelten Bürgerrecht der EU-Bürger: Sie seien Patrioten ihres Landes und (gewissermaßen mit einem zweiten Hut) Patrioten Europas. Zumindest nach den Lissabonner Verträgen, urteilt Dieter Grimm, ist dieser wünschenswerte Zustand keine Realität. Ein gründliches Gespräch über Europa.

Erstausstrahlung am 27.07.2016

Es brennt im Dach des europäischen Hauses

Wieviel Krisen verträgt die Welt? In diesem und im vorangegangen Jahr testeten die Krisen die Grenzen des Erträglichen. Das gilt für die Ukraine-Krise ebenso wie die durch die IS ausgelösten Vorgänge im Nahen Osten, für die Republik Mali und den Einsatz europäischer Streitkräfte dort ebenso wie für die Auseinandersetzung um die Spratly-Inseln im Fernen Osten. Diese und viele andere Konflikte sind das Thema der seit 51 Jahren bestehenden MUNICH SECURITY CONFERENCE, die den Reigen der Sicherheitskonferenzen in der Welt in jedem Jahr anführt. Die gefährlichen Zuspitzungen sowohl nach Osten zu Russland wie nach Süden zu Griechenland und der weite Kreis der damit zusammenhängenden Fragen wie die der Finanzkrise, der Sanktionen und des Euro beschäftigen in diesem Jahr die Konferenz: “Es brennt im Dach des europäischen Hauses”. Wir treffen auf dieser Konferenz den jungen österreichischen Außenminister Sebastian Kurz, den Gründer der Security Foundation Dr. Hubertus Hoffmann, den Leiter des Außenpolitikressorts der Süddeutschen Zeitung Stefan Kornelius, die Expertin in Brookings Institutions Dr. Constanze Stelzenmüller. Es geht nicht nur um die Sachverhalte in den Krisengebieten der Welt, sondern um deren Deutung.

Erstausstrahlung am 08.07.2015