Unter den Staatslenkern der Gegenwart wird ĂŒber keinen so viel gerĂ€tselt wie ĂŒber Wladimir Putin. Katja Gloger hat als Moskau-Korrespondentin eines deutschen Wochenmagazins ihn aus der NĂ€he beobachtet. Ist er waghalsig? Ist er mehr Schachspieler oder eher Muskelmann? Eine ganze Spezialabteilung von Image-Buildern und Propagandisten umgibt ihn tĂ€glich und begleitet ihn auf allen Wegen. Wenn er bei seinem Besuch in Griechenland das KlostergelĂ€nde auf dem Berg Athos besucht und auf dem Weg dahin neben dem von ihm gesteuerten GelĂ€ndewagen ein Esel herlĂ€uft, der wie von Gott gesandt stehenbleibt, wenn Putins Fahrzeug anhĂ€lt und dann mit ihm weiterlĂ€uft, darf man nicht annehmen, dass das Zufall ist oder spontan geschieht. Es ist inszeniert. Im Hintergrund der Inszenierungen aber steht ein “Mann mit Eigenschaften”. Der Ursprung von Putins Temperament liegt, so Katja Gloger, bereits in der Art wie er aufwuchs. Sein Vater, Arbeiter und spĂ€ter FunktionĂ€r, gehörte zu den Verteidigern von Leningrad im Zweiten Weltkrieg. Seine Mutter, Hauswartsfrau und spĂ€ter Leiterin einer Organisation, hat ihn stark geprĂ€gt. Als junger StraĂenkĂ€mpfer musste er sich im Leningrader Milieu – im Körperbau kleinwĂŒchsig und kompakt wie sein Vater – bei Gleichaltrigen mit Energie und mit FĂ€usten durchsetzen. Man sieht den jungen Putin wĂ€hrend der Wende in Deutschland. Er versteht es – im Stich gelassen von der Westgruppe der Roten Armee, die er herbeiruft, weil Demonstranten die Niederlassung des KGB stĂŒrmen wollen – den Sturm abzuwenden durch Ăberredung. Mit einem Eisschrank und einem Schrottauto (als Entgelt seiner Arbeit in Deutschland) gelangt er 1991 nach St. Petersburg. Er gehört und bekennt sich zu der Gruppe, die damals nicht in die Wirtschaft ging und Oligarch wurde, sondern die – Ă€hnlich wie die deutschen Offiziere in der Reichswehr nach 1918 – sich untereinander verbanden, um weitere Verluste des Landes abzuwehren. Diese Seite seines Charakters ist nicht inszeniert, sondern echt. Sie macht ihn fĂŒr Gegner gefĂ€hrlich. In unserer politisch unruhigen Zeit ist es wichtig, die Akteure gut zu kennen. Man muss den Fehler von 1914 vermeiden, als sich die “Schlafwandler des Jahrhundert” gegenseitig falsch einschĂ€tzten. Zu solcher besserer Kenntnis ist Katja Glogers kritischer Blick auf Putin ein guter Beitrag.
Erstausstrahlung am 02.03.2016