Mathematik steckt in allen Dingen

Moderne Mathematik arbeitet im Grenzbereich zur Technik und zur Naturwissenschaft. Es gilt Unbekanntes zu entdecken. Mathematische Strategien erweisen sich als Wünschelrute. Sie lassen in ihren strukturellen Analysen den Zufall und auch Irrationalität zu. Schwämme, Mikrostrukturen und Gedächtnismetalle sind ihre liebsten Studienobjekte. Prof. Dr. Stefan Müller vom Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften berichtet.

Mathematik als olympische Disziplin

Die einzige Sprache, in der sich der Kosmos entziffern lässt, ist die Sprache der Mathematik, sagt Albert Einstein. Erneuert und rein erhalten wird diese Sprache durch spezielle “Philologen” und “Gedankenarchitekten”, die z.B. im Max-Planck-Institut für Theoretische Mathematik in Bonn tätig sind. Peter Satorius, Chefreporter einer populären Tageszeitung, besucht dieses Institut.

Einen Nobelpreis für Mathematik gibt es nicht, weil Frau Nobel mit einem Mathematiker fremdging. Spitzenleistungen sind auf Anhieb unverständlich. Dennoch lösen sie, sagt Peter Satorius, Hochachtung aus. Wir müssen auch das Achten lernen, was wir nicht sofort verstehen.

Es stünde den Olympischen Festspielen gut an, wenn sie den Wettkämpfen der Körper auch Wettkämpfe der Mathematik gegenüberstellen könnten.

Mathematik, die letzte Freiheit der Gedanken

Die Knotentheorie gehört zur Hohen Schule der theoretischen Mathematik. Die Kunst besteht darin, zu beweisen, dass bestimmte Knoten auf ewig unlösbar sind. Diese Fälle unterscheiden sich von komplizierten Verwicklungen, die nur unlösbar aussehen. Ein solcher Beweis benötigt einen Tag oder hundert Jahre. Einen Vorteil hat derjenige, der den Quoten-Zoo respektiert. Ein Zerhauen von Gordischen Knoten ist in der Mathematik verboten und im Nahen Osten vergeblich. Der Mathematiker Priv.-Doz. Dr. Peter Schauenburg berichtet.

Die Geschichte der Null

Die Null ist die seltsamste Figur in der Republik der Zahlen. Sie hat eine Fülle verschiedener Bedeutungen.

Vor 5000 Jahren erfanden indische Mathematiker die NULL. Schon früher wurde sie von den Sumerern als Zeichen für “dazwischen” gebraucht. Für die Mayas, mit ihren vielen Kalendern, diente die NULL dazu, den Sturz in den Abgrund der Zeit zu verhindern. Nach Europa kommt die NULL durch die Araber als Trennlinie zu den negativen Zahlen.

Über die vielen Rätsel der NULL schrieb der Professor Dr. Robert Kaplan sein berühmtes Buch: THE NOTHING THAT IS; THE NATURAL HISTORY.

Das Ganze steuert der Blitz

Die eigentlichen Sieger im 2. Weltkrieg, sagt Kulturforscher Friedrich Kittler von der Humboldt-Universität Berlin, waren die Mathematiker John von Neumann und Alan Turing. Der eine entwickelte mit seinen Rechnern die Grundlagen für die Atombombe, der andere erfand die Computer, die die Geheimschlüssel der Wehrmacht entzifferten. Aus dem Geiste dieser Mathematik entstand die Interkontinentalrakete, deren furchtbare Macht für ein halbes Jahrhundert den Frieden zwischen den Großmächten erzwang. Friedrich Kittler über die Entstehung der Beschleunigung in der Welt aus dem Geiste der Mathematik und das PRINZIP UNBERECHENBARKEIT – “Das Ganze steuert der Blitz”.

Zufall und Wahrscheinlichkeit

Kämen Außerirdische ins Weiße Haus, würde sich rasch zeigen, dass sie nicht Englisch sprechen. Auf die Sprache der Mathematik dagegen, behaupten Experten, würden sie mit Gewissheit reagieren. Die Sprache der Mathematik ist der Umgangssprache fern, aber sie ist die Sprache des Kosmos. Es lohnt sich, Anton Wakolbinger, Professor für Mathematik an der Universität Frankfurt/Main, zuzuhören. Er vertritt eines der interessantesten Gebiete der Mathematik, die Stochastik: Das ist der Umgang mit Zufall und Wahrscheinlichkeit. Hier gibt es den berühmten Grenzwertsatz: das Gesetz der seltenen Ereignisse. Die Mathematik davon ist gleicherweise relevant für Phänomene der Finanzkrise, für den Ausbruch und den Ausgang von Kriegen, für die Verläufe der biologischen Evolution und für die Voraussage von Wahlergebnissen und Zuschauerquoten. Begegnung mit Prof. Dr. Wakolbinger und dem Grenzwertsatz.

„Deep Learning“ und die Lernmaschinen

Unsere neue digitale Welt des 21. Jahrhunderts wird von Algorithmen geleitet. Algorithmen sind knapp gefasste mathematische Rechenvorschriften, nach denen ganze industrielle Systeme funktionieren, wenn sie untereinander digitalisiert sind. Solche Systeme sind als Ganze lernfähig. Aber auch die einzelnen Lernmaschinen lernen untereinander und erweitern so in gewaltigem Tempo ihr gespeichertes Wissen. Auch passen sie ihre Aufträge an neue Umstände an. Dieses Lernen der künstlichen Intelligenz – als ob bei Shakespeare Gespenster nachts ihre Nachrichten und Fähigkeiten austauschen – kann in den tiefen Ebenen der digitalen Arbeit von den Programmierern im Einzelnen nicht direkt und oft überhaupt nicht beobachtet werden. Dieses Lernen, bei dem die Lernmaschinen und deren Daten selbst die Lehrer sind, nennt man „deep learning“. Um die Gleichgewichte zwischen tradierter menschlicher und künstlicher Intelligenz zu stabilisieren, braucht man heute und in Zukunft sowohl Algorithmen als auch Gegen-Algorithmen, die die Systeme im Gleichgewicht halten. Für beides gilt „deep learning“.

Der Physiker und Informatiker Prof. Dr. Klaus-Robert Müller, spezialisiert auf neuronale Netze und Zeitreihenanalyse, ist Co-Direktor des Big Data Centers an der TU Berlin.

Roboter

Kognitive Robotik konkurriert und kooperiert mit der menschlichen Intelligenz. Moderne robotische Instrumente sind von besonderer Bedeutung in der Krebsdiagnostik und in der Chirurgie: differenzierte und wirksame Prothesen des menschlichen Fingerspitzengefühls und der ärztlichen Erfahrung. Zunehmend entsteht heute eine Symbiose zwischen künstlicher und natürlicher Intelligenz. Prof. Dr. Sir Brady, Universität Oxford, ist sowohl Experte auf dem Gebiet der Robotik als auch auf der Onkologie.

Sprachspiele unter Robotern

Die Genese von Grammatik und Sprache erfolgt bei den biologischen Lebewesen nach den Gesetzen der Evolution. Neueste Untersuchungen an Robotern zeigen, dass sich auch bei diesen die Kommunikation und Intelligenz (ähnlich wie bei den Menschen) durch die soziale Interaktion und durch die Berührung der robotischen Körper mit der Umwelt, also wie in der Evolution, durch kleine Mutationen und langfristige Selektion entwickeln. Prof. Dr. Luc Steels, Vrije Universiteit Brussels, berichtet von seinen Forschungen.