Show: Verbrechen und Strafen

Das Attentat

Ein StĂŒck Paranoia (eine Spielart der Vernunft) gibt es in jedem Menschen. Die zugespitzte Form davon nennt Immanuel Kant den TÖDLICHEN SCHARFSINN. In ihrer extremen Form ist die “falsch dichtende Einbildungskraft”. Sie ist, so Kant, die Mutter der Attentate. Attentate haben eine lange Geschichte von Brutus bis zu den SelbstmordattentĂ€tern des 21. Jahrhunderts. SiebenhundertfĂŒnfzig Seiten umfasst die verblĂŒffende und spannende KRITIK DER PARANOISCHEN VERNUNFT mit dem Titel “Das Attentat” von Manfred Schneider, UniversitĂ€t Bochum.

Erstausstrahlung am 27.03.2011

Das Maß der Gerechtigkeit

Gerade in Zeiten des Umbruchs steht die Rechtskultur eines Landes auf dem PrĂŒfstand. Entscheidend fĂŒr die QualitĂ€t einer Rechtsordnung, sagt Prof. Dr. Paul Kirchhof, 12 Jahre lang Richter am Bundesverfassungsgericht und Rechtslehrer an der UniversitĂ€t Heidelberg, ist das MASS DER GERECHTIGKEIT. Dies ist auch der Titel seines neuen Buches, in dem er von konkreten Beispielen fĂŒr solche MaßverhĂ€ltnisse ausgeht: Von dem Fall des MĂŒller Arnold im Preußen von Friedrich dem Großen, der Geschichte von Gyges und seinem Ring in der Antike, der Geschichte vom gestohlenen Geldbeutel (von Johann Peter Hebel) und dem Richterspruch im Fall der 12 Kamele. Prof. Dr. Paul Kirchhofs Buch enthĂ€lt einen leidenschaftlichen Aufruf gegen KleinglĂ€ubigkeit und Resignation in der Bundesrepublik. Es ist unverkennbar: Wir brauchen eine entschlossene und große Reform unseres Gemeinwesens. Sie muss sich daran orientieren, dass es vor allem um die Produktion von Vertrauen geht. Prof. Dr. Paul Kirchhof ĂŒber Gerechtigkeit als Vertrauenssache.

Erstausstrahlung am 06.12.2009

S.M.A.S.H.

Plötzliche Angriffe auf Menschen in der Öffentlichkeit mit vielen Opfern gehören zu den erschĂŒtternden Bildern unserer Zeit. Die Kriminologen unterscheiden dabei zwischen Amok, Attentat und dem Oberbegriff S.M.A.S.H., dem “Sudden Mass Assault Syndrome with Homicide”. Gemeinsam ist diesen Taten, dass sie die Öffentlichkeit suchen und in den meisten FĂ€llen die Selbstvernichtung des TĂ€ters einschließen. Prof. Dr. Joachim Kersten berichtet.

Erstausstrahlung am 09.02.2003

Herzlichkeit der Vernunft

Ferdinand von Schirach ist bekannt als Strafverteidiger und zugleich als erfolgreicher literarischer Autor. Sein TheaterstĂŒck „Terror“ gehört an deutschen und auslĂ€ndischen BĂŒhnen zu den meistgespielten Gegenwartsdramen. In der vorliegenden Sendung geht es um den Prozess Calas, um moderne Prozesserfahrung und ihre Wiedergabe in den Stoffen des True Crime. In einer AtmosphĂ€re des religiösen Fanatismus wurde im Jahre 1762 der hugenottische Kaufmann Jean Calas wegen angeblichen Mordes an seinem Sohn in einem haarstrĂ€ubenden Prozess zum Tode verurteilt und gerĂ€dert. Bis zuletzt suchten die Justizbehörden ein GestĂ€ndnis von ihm zu erlangen. Die furchtbare Exekution ertrug Calas mit bewundernswerter Haltung. Der Philosoph, Theatermann und Anwalt Voltaire griff diesen Fall auf und setzte die Kassation des Urteils durch das königliche Obergericht in Paris durch. Europas Öffentlichkeit verfolgte mit Spannung diese Kampagne. Es war der erste Durchbruch einer kritischen Öffentlichkeit gegenĂŒber mittelalterlicher Justiz. Voltaires Schrift „Über Fanatismus“ begrĂŒndete die AufklĂ€rung im Justizwesen. Von da an wurde (außer in Diktaturen) der Ausschluss von Öffentlichkeit, also Geheimprozesse, unmöglich. Es galt kĂŒnftig Voltaires Satz: „Wenn 1.000 Zeugen etwas Unsinniges behaupten, gilt immer noch die Macht der Tatsache.“ Mit der Intervention Voltaires entstand exemplarisch der Typ des „Anwalts der Öffentlichkeit“ und der Begriff des „philosophe“ in Frankreich. Bis hin zur AffĂ€re Dreyfus war kritische Öffentlichkeit eine Institution. Diese Richtung der Vernunft kommt nicht aus dem Verstand, sondern aus dem Herzen. Es gehört Großmut, Wagemut und Entschiedenheit zu diesem Typ des kritischen Geistes. „Denken ist eine Form des Verhaltens“. Das ist im 21. Jahrhundert aktueller denn je. True Crime, also die authentische Darstellung von Verbrechen und ihrer Verfolgung, gehört zu den attraktiven Stoffen der Massenmedien, aber auch der Poetik. Das reicht von Kleists Boulevardzeitung von 1810 BERLINER ABENDBLÄTTER ĂŒber Edgar Allen Poe bis zu Truman Capote und dem breiten Netz moderner Stoffe bis hin zu „Making a Murderer“ und „Drugs Inc.“. In dem GesprĂ€ch – einem Beispiel fĂŒr „GrĂŒndlichkeit“ – nimmt Ferdinand von Schirach die ReibungsflĂ€che zwischen Klischee und authentischer Dichtung ins Visier. Poetik ist „die Kunst, Unterschiede zu machen“. Kein Zeitalter hatte einen solchen Bedarf und eine solche FĂŒlle an Stoff fĂŒr die Dichtkunst vor Augen wie unser 21. Jahrhundert.

Erstausstrahlung am 24.08.2016

Der MillionenrÀuber

Ludwig Lugmeier ist bekannt fĂŒr seine Taten als BankrĂ€uber und fĂŒr seinen legendĂ€ren Sprung aus dem Gerichtssaal mit anschließender Flucht. Sein Fluchtweg reichte ĂŒber Ecuador und Island bis zurĂŒck ins GefĂ€ngnis. Dort begann er zu schreiben. Inzwischen hat er zwei erfolgreiche BĂŒcher veröffentlicht, die die Erfahrungen seines Lebens verarbeiten. Begegnung mit Ludwig Lugmeier.

Erstausstrahlung am 22.01.2006

Das verlÀngerte Gewissen des Pentagon

Der Inspector General des Pentagon ist ein unabhĂ€ngiges Kontrollorgan, das in der Verfassung der USA verankert ist. Er gilt als “das verlĂ€ngerte Auge, Ohr und Gewissen” des US-Verteidigungsministers. Er untersucht nicht nur die Kosten der StreitkrĂ€fte, sondern auch ihre Verbrechen und ist der Inspektor fĂŒr die QualitĂ€t der Waffen und der Ausbildung der Truppe. Die Einrichtung stammt aus der Tradition des aufgeklĂ€rten 18. Jahrhunderts. Sie wurde in den USA eingefĂŒhrt durch den preußischen General von Steuben, der noch Friedrich dem II. von Preußen gehorchte und General Washington im UnabhĂ€ngigkeitskrieg diente. Joseph E. Schmitz, derzeitiger Inspector General des Pentagon, berichtet.

Erstausstrahlung am 06.06.2005

Die Fratze des Barbaren

Der letzte der NĂŒrnberger Kriegsverbrecher Prozesse hatte den Namen “OKW-Prozess” und richtete sich gegen hohe deutsche MilitĂ€rs. Stellvertretend fĂŒr das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) und die Elite des deutschen MilitĂ€rs wurden angeklagt: Feldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb, die PanzergenerĂ€le Hoth und Reinhardt, der GeneralstĂ€bler Warlimont, sowie verschiedene Front- und Etappenbefehlshaber. Es war eindeutig, dass unter dem Verantwortungsbereich dieser GenerĂ€le Kriegsverbrechen begangen worden waren, sagt der Historiker Jörg Friedrich, verwirrend aber fĂŒr die Richter und Prozessbeobachter war zugleich, dass niemand den Angeklagten, wenn man ihre Erscheinung ansah, diese Verbrechen zutraute. Wo liegt der Punkt, an dem zivilisierte Menschen dennoch zu “Instrumenten der Vernichtungswut” werden? Der Prozess enthĂŒllte keine “Fratze des Barbaren”, sondern beleuchtete voll den Umschlag von militĂ€rischer SchwĂ€che in BrutalitĂ€t, wie sie fĂŒr den Krieg charakteristisch ist.

Erstausstrahlung am 03.11.1996