Die Beziehung zwischen Reichtum und Geld auf der einen Seite und dem menschlichen Charakter auf der anderen Seite wird in den verschiedenen Jahrhunderten sehr unterschiedlich betrachtet. Im Mittelalter und der Neuzeit gibt es das Bild der soliden Bankiers (wie die Fugger), aber auch das des Geizhalses und des Wucherers. Die Melancholiker, in ihrer Abstinenz gegenĂŒber dem Genuss, erscheinen als Gegenteil des Prassers und daher zu Geld und VerfĂŒgungsmacht ĂŒber Reichtum zu passen. Die in der Literatur, den LebenslĂ€ufen und der öffentlichen Meinung um 1900 beobachteten Charaktereigenschaften sind davon verschieden. Der Soziologe Max Weber und der Philosoph Georg Simmel, der eine Theorie des Geldes schrieb, portrĂ€tieren neuartige Charaktere, die in Staat und Wirtschaft vorherrschen. Am Sockel reicher Familien gibt es aber auch die Dandys und die Spieler. Es entsteht der Typ, der das SpekulationsgeschĂ€ft beherrscht. Auf der anderen Seite sind die GrĂŒnder von Industrien und die Eisenbahnkönige durch das Objekt, mit dem sie umgehen, auf CharakterzĂŒge der KontinuitĂ€t angewiesen. Was sind Kennzeichen heutiger Charaktere, die mit Geld und wirtschaftlicher VerfĂŒgungsmacht umgehen? Sie sind, sagt der Literaturwissenschaftler Joseph Vogl von der Humboldt-UniversitĂ€t zu Berlin, durch die VerĂ€nderungen der Raumwelten und vor allem der Zeitwelten auf unserem Planeten im 21. Jahrhundert geprĂ€gt. Auf die FĂ€higkeit, mit diesen kollektiven “Zeitschwingungen” (als Beschleuniger oder Verlangsamer) umzugehen, kommt es fĂŒr FĂŒhrungskrĂ€fte an. Hier entscheidet sich ihre ModernitĂ€t. Ein Problem liegt darin, dass an das FĂŒhrungspersonal widersprĂŒchliche Anforderungen gestellt werden, deren ErfĂŒllung sich ausschlieĂt. Hier treten, sagt Vogl, “Masken der HumanitĂ€t” an die Stelle des Charakters. Begegnung mit Joseph Vogl, dem Verfasser von DAS GESPENST DES KAPITALS.
Erstausstrahlung am 22.09.2014