Podcast: Verbrechen und Strafen

Episoden:

Aus dem Alltag eines Strafverteidigers

Ferdinand von Schirach ist Strafverteidiger in Berlin. Brisante Fälle aus seiner unmittelbaren Erfahrung hat er in seinem Buch VERBRECHEN, das ein Bestseller wurde, nacherzählt. Ein angesehener, freundlicher Doktor der Medizin erschlägt nach 40 Jahren seine Frau mit einer Axt. Eine junge Frau tötet ihren Bruder aus Liebe. Zwei Schlägertypen glauben auf einem Hauptbahnhof einen Rentner zusammenschlagen zu können und geraten an einen Profi, der sie in Notwehr tötet. Die Geschichten zeigen, wie einfallsreich und fantastisch die Wirklichkeit zu erzählen vermag. FAZ und SPIEGEL urteilen: wie Kino im Kurzformat.

Erstausstrahlung am 24.01.2010

Wie gemein muss ein Gemeinwesen sein?

Was ist die Zukunft der Todesstrafe? Was heißt Repression? Was bedeutet Prävention? Bietet die Härte der amerikanischen Justiz ein Vorbild für unsere Zukunft? Ist die „Wiederkehr des Vergeltungsstrafrechts“ das Merkmal von Stärke oder von gesellschaftlicher Ohnmacht? Was heißt „Strafkoma“? Wie gemein muss Gemeinwesen sein? Kriminalforscher Prof. Dr. Joachim Kersten über das Strafen: Was ist die Zukunft der Todesstrafe? Was bedeutet Prävention? Wird Verbrechen durch die Evolution belohnt? Gibt es eine besondere „Begabung“ für Kriminalität? Gibt es Anti-Gemeinwesen und wie entstehen sie? Wie wirksam sind überhaupt Strafen?

Erstausstrahlung am 08.03.1999

One shot one kill

Scharfschützen gibt es seit den Jägervölkern und der Steinzeit. Heute bilden solche Scharfschützen den Kern von Eliteeinheiten der Supermacht. Sie finden sich aber auch in den Strukturen des Terrors und des Verbrechens. Kriminalforscher Prof. Dr. Joachim Kersten über die „Psychologie der Ferntötung“.

Erstausstrahlung am 14.03.2004

VABANQUE

85% aller Bankräuber sind Ersttäter. Seit der Zeit des Wilden Westens in den U.S.A. sind Banküberfälle Ziel von populärer Phantasie, aber auch wirkliches Objekt krimineller Praxis. Die heutigen Sicherheitssysteme haben diese Praxis nachhaltig verändert. Der Kulturwissenschaftler Klaus Schönberger dokumentiert in dem von ihm herausgegebenen Buch VABANQUE Theorie, Praxis und Geschichte des Bankraubs mit Bankräuber-Medleys von Mac Orgelmüller.

Erstausstrahlung am 04.03.2002

Wie ensteht Verdacht im polizeilichen Alltag?

Die Praxis der polizeilichen Fahndungs- und Aufklärungsarbeit ist das Gegenteil dessen, was man in TV-Serien oder Kriminalromanen dargestellt findet. Das logische Schlussfolgern spielt eine geringere Rolle, als die intuitive Wahrnehmung. Milieus und Reviere werden von Polizisten nach Auffälligkeiten geprüft. Der Verdacht entsteht da, wo etwas vom „gewohnten oder natürlichem Bild“ abweicht. Prof. Dr. Joachim Kersten über: Wie entsteht Verdacht im polizeilichen Alltag?

Erstausstrahlung am 20.11.1995

Ich öffne meine Leichen mit Respekt

In seinem Arbeitsleben hat der Prof. Dr. med. Volkmar Schneider mehr als 50.000 tote Körper gerichtsmedizinisch untersucht. Darunter im Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg. Nie empfand er seine Arbeit als Routine. Was sind für den Gerichtsmediziner Zeichen des Verdachts? Wie unterscheidet man Selbstmord von Mord? Woran erkennt man Gifte? Wie untersucht man die toten Körper? Prof. Dr. Volkmar Schneider leitet drei Institute, darunter die Gerichtsmedizin der Charité in Berlin.

Erstausstrahlung am 30.05.2005

Niemand ist unschuldig

U.S.-Wirtschaftsführer besiedeln zunehmend die Gefängnisse der USA. In den Hochsicherheitstrakten befindet sich die neue Kaderschmiede für das moderne Wirtschaftsverbrechen, für Bilanzfälschung und Kapitalvernichtung. Es geht um den Abschied von veralteten Standards und die Vorbereitung auf eine rücksichtslose WELT DER ENTGLOBALISIERUNG. Rechtsanwalt Duke Chapnick, Berater zahlreicher Wirtschaftsführer, zurzeit selbst inhaftiert, berichtet.

Erstausstrahlung am 08.12.2002

Was macht ein Kriminalpsychologe?

Macht, Manipulation, Rache für Demütigung. Europas führender Kriminalpsychologe untersucht die Motive von Verbrechern. Im Hochsicherheitstrakt befragt er Serienmörder. In den Chefetagen der Wirtschaft spürt er nach Straftaten am Arbeitsplatz. Sein Buch „Bestie Mensch“ wurde ein Bestseller. Begegnung mit dem Kriminalpsychologen Dr. Thomas Müller, Wien.

Erstausstrahlung am 04.03.2007

„Warte, warte noch ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu Dir“

Romuald Karmakar veröffentlicht demnächst seinen ersten abendfüllenden Spielfilm DER TOTMACHER. Götz George spielt den Mörder Fritz Haarmann aus Hannover, der in der Zeit zwischen 1918 und 1924 Knaben und Männer tötete und im Jahr 1925 enthauptet wurde. Man nannte ihn einen Werwolf. An ihm entzündete sich die Volksphantasie. In dem Film des jungen Filmemachers Romuald Karmakar wird erstmalig das Protokoll der psychiatrischen Untersuchung dieses Massenmörders veröffentlicht. Der Universitätsprofessor für Psychiatrie Schultze befragt Fritz Haarmann (Götz George).

Erstausstrahlung am 16.10.1995

„Intimizid“

Eine Frau ersticht ihren Mann, weil sie glaubt, er wolle sie angreifen. An dem Tag, an dem er seinen Sohn getötet hat, wollte der Täter eigentlich auch seine Lebensgefährtin ermorden. Einer tötet die Lebenspartnerin, die ihn verlassen will. Ein Mann, der seiner dominanten Frau nicht sagen kann, dass er beruflich am Ende ist, tötet sie im Gefühl aus dem Gefühl seines Bankrotts heraus. Die Mehrzahl der Tötungen von Menschenhand gelten dem Intimpartner. In den klassischen Dramen und in der Oper tötet z.B. MEDEA ihre Kinder, um ihren untreuen Geliebten dort zu verletzen, wo er verletzbar ist: Sie vernichtet ihm seine Nachkommen. Am Schluss von CARMEN von Bizet und im Drama WOZZEK von Büchner tötet der verlassene Mann das Liebste, was er hat: „Du gehörst mir nicht und auch keinem Anderen“ – das sind die letzten Worte des Wozzek. Der langjährige Chef der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, in der ersten Reihe der Gerichtspsychiater in Schwurgerichtsprozessen, berichtet aus seiner Praxis. Was unterscheidet Mord und Totschlag? Was bedeuten die Tatbestandsmerkmale „Heimtücke“ und „Mordlust“? Wie geht der Psychiater mit solchen Begriffen des Gesetzes um? Begegnung mit Prof. Dr. med. Dr. h.c. Andreas Marneros.

Erstausstrahlung am 29.09.2013

Das Todesurteil

Die todbringende Helferin des belgischen Mörders Dutroux kommt vorzeitig frei. Ohne Gerichtsurteil wird Bin Laden von Staats wegen getötet. Der Massenmörder Eichmann wird in Jerusalem seinerzeit hingerichtet. Die Todesstrafe hat sehr verschiedene Aspekte. Ihre Grenzen sind nach wie vor umstritten. In China und in den U.S.A. floriert sie. Das Grundgesetz hat sie für die Bundesrepublik abgeschafft. Fragen wie der finale Todesschuss und die Androhung von Folter im Fall Gäfgen zeigen die Grauzone der Debatte. Der Hochschullehrer und Strafverteidiger Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Volk, LMU München, berichtet.

Erstausstrahlung am 17.12.2012

Der Sammelkläger

Neuste Berichte bestätigen, dass die Todesstrafe in den USA häufig unprofessionell ausgeführt wird. Die Todesqualen der zum Tode Verurteilten dauern weit länger als bisher angenommen. Zeugen des Geschehens und solche, die von den Quälereien hören, fühlen sich durch die Eindrücke innerlich verletzt. Sammelkläger Rechtsanwalt David Scott (Peter Berling) vertritt die Anliegen dieser Mandanten. Die Todesstrafe, sagt er, brutalisiert, vor allem bei fehlerhafter Ausführung.

Erstausstrahlung am 25.07.2005

Schirachs „Tabu“

Ferdinand von Schirachs Buch „Verbrechen“ handelt von Fällen, die er aus seiner Anwaltstätigkeit kannte. Jetzt publizierte er einen Roman mit dem Titel „Tabu“. Auch hier zeigt sich seine enorme Erfahrung aus den Gerichtssälen. Es geht um den Hamlet-Stoff als eine moderne Kriminalgeschichte. Der Held verliert seinen Vater und muss miterleben, dass die Mutter unter Niveau neu heiratet. Es kommt zu einem vertrackten Tatbestand, einem „Mord ohne Leiche“. Für den Helden geht es um eine „Ermittlung gegen sich selbst“. Wer bin ich? Für den Autor geht es zugleich um den Prozess der Wahrheitsfindung und um die ihn nachdrücklich interessierende Verteidigung des Rechtsstaats, die vor allem in der Grauzone der Sachverhalte eine Herausforderung erhält. Von Schirachs neuer Roman und eine Begegnung mit dem Autor.

Erstausstrahlung am 24.02.2014

Jagd auf Mr. „Unbekannt Nr. 1“

Nach einer Sportveranstaltung verschwindet in einem kleinen Ort in Oberitalien ein minderjähriges Mädchen spurlos. Die Leiche wird später auf einem Acker gefunden. Auf ihrem Körper finden sich fremde DNA-Spuren. In einer Großaktion wird aufgrund dieser Spuren nach dem Mörder gesucht. Dr. Letizia Ruggeri, die Untersuchungsrichterin, eine imposante, besonnene Ermittlerin, veranlasst in den Dörfern 18.000 DNA-Untersuchungen. Es wird ein mutmaßlicher Vater des Täters gefunden, keines von dessen Kindern aber kommt für die Tat in Betracht. Erst als ein Ehebruch dieses Vaters und ein daraus entstandenes uneheliches Zwillingspaar herausgefunden wird (ein Dorfskandal), gelangen die Behörden an den inzwischen angeklagten Mr. „Unbekannt Nr. 1“. Dessen Familie, er selbst, die Anwälte wehren sich gegen die (auch in der Öffentlichkeit) abstrakt wirkende Anklage, die sich auf DNA-Indizien gründet. Blutsbande und Familienzusammenhalt stehen gegen Laborwissen. Die Debatte erregt und spaltet die Öffentlichkeit Italiens. Die Romanistin Prof. Dr. Ulrike Sprenger, Verfasserin den Proust ABC, kommentiert den aufsehenerregenden Konflikt, in dem zwei Zeitalter in einem Justizfall hart aufeinandertreffen.

Erstausstrahlung am 07.10.2015

AMOK

Was die Europäer an den asiatischen Amokläufern im 19. Jahrhundert schockierte, sagt Prof. Dr. Joseph Vogl, war der „Terror der Nicht-Unterscheidung“. Aus einem Anlass, der zu einem Gemetzel in keinem Verhältnis stand, also „ohne Grund“ und gleicherweise grausam gegen Freund und Feind, rannten Mörder durch die Dörfer und töteten. Sie riefen: „Amok, Amok“, was so viel heißt wie: „Vernichtet sie“. Inzwischen gehören auch in den westlichen Ländern Amokschützen zu den großen öffentliche Zeichen, die eine Zeitenwende signalisieren. Die Amokschützen bevorzugen öffentliche Plätze, „befriedetes Gelände“ wie Kaufhäuser, Universitätsgelände, Schulen und Kirchen. Wie Tötungsmaschinen töten sie unterschiedslos, was sich bewegt. Sie verhalten sich wie „Menschenfeinde“, sie bekriegen eine statistisch abgesicherte Welt, sagt Prof. Dr. Vogl, als dasjenige, was aus jeder Versicherungsrechnung herausfällt. Sie signalisieren DAS ENDE DER EINFÜHLUNG. Prof. Dr. Vogl, von der Bauhaus Universität Weimar, berichtet. Mit Beispielen aus Java, Tasmanien, U.S.A., Schottland u.a.

Erstausstrahlung am 04.08.2002

Josef Wilfling, Mordermittler

In einer Affekttat stampft ein Baggerführer seinen Chef, der ihn seit Jahren mobbte, in die Baugrube. Ein junger Mathematiker will seine Kinder, Zwillinge, planwirtschaftlich zur Nahrungsaufnahme und zum Schlafen zum gleichen Zeitpunkt abrichten. In seinem Ärger, dass das nicht gelingt, schüttelt er eines der Kinder, das am Schütteltrauma stirbt. Ein Einser-Jurist von intellektuellem Glanz versucht den perfekten Mord zu begehen. Ein Zufall spielt ihm einen Streich. Er wird überführt. Eine Pflegerin tötet den ihr anvertrauten Greis. Das Verbrechen ist raffiniert und kaltblütig. Es wird aufgedeckt. Dies sind Fälle aus dem neuen Buch des langjährigen Chefs der Münchner Mordkommission Josef Wilfling: UNHEIL. WARUM JEDER ZUM MÖRDER WERDEN KANN.

Erstausstrahlung am 15.09.2013

Die Knochenjägerin

Vor Gericht begutachtet sie Leichen: die Forensikerin und Anthropologin Prof. Dr. Kathleen Reichs. Außerdem schreibt sie berühmte Romane wie „Flash and Bones“ und produziert die TV-Erfolgsserie „Bones“ (Knochen). Es gibt wenige Autoren von Kriminalromanen in der Welt, die zugleich beruflich eine unbestrittene wissenschaftliche Autorität sind. Kathleen Reichs wurde am 11.9. ebenso wie bei den Massakern in Ruanda als Expertin hinzugezogen. Sie untersucht aber auch Skelette von Toten, die durch Verbrecher in Beton gegossen wurden, um solche Opfer zum Verschwinden zu bringen. Begegnung mit der Knochenjägerin: der literarischen und wissenschaftlichen Koryphäe Kathy Reichs.

Erstausstrahlung am 23.04.2012

Die Guillotine

Ein Beitrag zur Serie: 200 Jahre Französische Revolution. Hier geht es um die Guillotine. Die Französische Revolution wollte mehr Menschlichkeit auch für jene, die zum Tod verurteilt waren. Der Apotheker Guillotin erfand eine Schneidemaschine zum Abschneiden von Köpfen, die berühmte Guillotine. Dass jemand, der langsam geboren und langsam aufgewachsen ist, so schnell zu Tode kommt, ist ein Schock. Karl-Heinz Bohrer, berühmter Essayist und Herausgeber der Monatszeitschrift Merkur, Zeitschrift für Europäisches Denken, berichtet in der Sendung „10 to 11“ über den Schrecken, den diese Maschine verursachte. „Die Kategorie der Plötzlichkeit und das Bild des Schreckens.“

Erstausstrahlung am 30.05.1988

Das Attentat

Ein Stück Paranoia (eine Spielart der Vernunft) gibt es in jedem Menschen. Die zugespitzte Form davon nennt Immanuel Kant den TÖDLICHEN SCHARFSINN. In ihrer extremen Form ist die „falsch dichtende Einbildungskraft“. Sie ist, so Kant, die Mutter der Attentate. Attentate haben eine lange Geschichte von Brutus bis zu den Selbstmordattentätern des 21. Jahrhunderts. Siebenhundertfünfzig Seiten umfasst die verblüffende und spannende KRITIK DER PARANOISCHEN VERNUNFT mit dem Titel „Das Attentat“ von Manfred Schneider, Universität Bochum.

Erstausstrahlung am 27.03.2011

Das Maß der Gerechtigkeit

Gerade in Zeiten des Umbruchs steht die Rechtskultur eines Landes auf dem Prüfstand. Entscheidend für die Qualität einer Rechtsordnung, sagt Prof. Dr. Paul Kirchhof, 12 Jahre lang Richter am Bundesverfassungsgericht und Rechtslehrer an der Universität Heidelberg, ist das MASS DER GERECHTIGKEIT. Dies ist auch der Titel seines neuen Buches, in dem er von konkreten Beispielen für solche Maßverhältnisse ausgeht: Von dem Fall des Müller Arnold im Preußen von Friedrich dem Großen, der Geschichte von Gyges und seinem Ring in der Antike, der Geschichte vom gestohlenen Geldbeutel (von Johann Peter Hebel) und dem Richterspruch im Fall der 12 Kamele. Prof. Dr. Paul Kirchhofs Buch enthält einen leidenschaftlichen Aufruf gegen Kleingläubigkeit und Resignation in der Bundesrepublik. Es ist unverkennbar: Wir brauchen eine entschlossene und große Reform unseres Gemeinwesens. Sie muss sich daran orientieren, dass es vor allem um die Produktion von Vertrauen geht. Prof. Dr. Paul Kirchhof über Gerechtigkeit als Vertrauenssache.

Erstausstrahlung am 06.12.2009

S.M.A.S.H.

Plötzliche Angriffe auf Menschen in der Öffentlichkeit mit vielen Opfern gehören zu den erschütternden Bildern unserer Zeit. Die Kriminologen unterscheiden dabei zwischen Amok, Attentat und dem Oberbegriff S.M.A.S.H., dem „Sudden Mass Assault Syndrome with Homicide“. Gemeinsam ist diesen Taten, dass sie die Öffentlichkeit suchen und in den meisten Fällen die Selbstvernichtung des Täters einschließen. Prof. Dr. Joachim Kersten berichtet.

Erstausstrahlung am 09.02.2003

Herzlichkeit der Vernunft

Ferdinand von Schirach ist bekannt als Strafverteidiger und zugleich als erfolgreicher literarischer Autor. Sein Theaterstück „Terror“ gehört an deutschen und ausländischen Bühnen zu den meistgespielten Gegenwartsdramen. In der vorliegenden Sendung geht es um den Prozess Calas, um moderne Prozesserfahrung und ihre Wiedergabe in den Stoffen des True Crime. In einer Atmosphäre des religiösen Fanatismus wurde im Jahre 1762 der hugenottische Kaufmann Jean Calas wegen angeblichen Mordes an seinem Sohn in einem haarsträubenden Prozess zum Tode verurteilt und gerädert. Bis zuletzt suchten die Justizbehörden ein Geständnis von ihm zu erlangen. Die furchtbare Exekution ertrug Calas mit bewundernswerter Haltung. Der Philosoph, Theatermann und Anwalt Voltaire griff diesen Fall auf und setzte die Kassation des Urteils durch das königliche Obergericht in Paris durch. Europas Öffentlichkeit verfolgte mit Spannung diese Kampagne. Es war der erste Durchbruch einer kritischen Öffentlichkeit gegenüber mittelalterlicher Justiz. Voltaires Schrift „Über Fanatismus“ begründete die Aufklärung im Justizwesen. Von da an wurde (außer in Diktaturen) der Ausschluss von Öffentlichkeit, also Geheimprozesse, unmöglich. Es galt künftig Voltaires Satz: „Wenn 1.000 Zeugen etwas Unsinniges behaupten, gilt immer noch die Macht der Tatsache.“ Mit der Intervention Voltaires entstand exemplarisch der Typ des „Anwalts der Öffentlichkeit“ und der Begriff des „philosophe“ in Frankreich. Bis hin zur Affäre Dreyfus war kritische Öffentlichkeit eine Institution. Diese Richtung der Vernunft kommt nicht aus dem Verstand, sondern aus dem Herzen. Es gehört Großmut, Wagemut und Entschiedenheit zu diesem Typ des kritischen Geistes. „Denken ist eine Form des Verhaltens“. Das ist im 21. Jahrhundert aktueller denn je. True Crime, also die authentische Darstellung von Verbrechen und ihrer Verfolgung, gehört zu den attraktiven Stoffen der Massenmedien, aber auch der Poetik. Das reicht von Kleists Boulevardzeitung von 1810 BERLINER ABENDBLÄTTER über Edgar Allen Poe bis zu Truman Capote und dem breiten Netz moderner Stoffe bis hin zu „Making a Murderer“ und „Drugs Inc.“. In dem Gespräch – einem Beispiel für „Gründlichkeit“ – nimmt Ferdinand von Schirach die Reibungsfläche zwischen Klischee und authentischer Dichtung ins Visier. Poetik ist „die Kunst, Unterschiede zu machen“. Kein Zeitalter hatte einen solchen Bedarf und eine solche Fülle an Stoff für die Dichtkunst vor Augen wie unser 21. Jahrhundert.

Erstausstrahlung am 24.08.2016

Der Millionenräuber

Ludwig Lugmeier ist bekannt für seine Taten als Bankräuber und für seinen legendären Sprung aus dem Gerichtssaal mit anschließender Flucht. Sein Fluchtweg reichte über Ecuador und Island bis zurück ins Gefängnis. Dort begann er zu schreiben. Inzwischen hat er zwei erfolgreiche Bücher veröffentlicht, die die Erfahrungen seines Lebens verarbeiten. Begegnung mit Ludwig Lugmeier.

Erstausstrahlung am 22.01.2006

Das verlängerte Gewissen des Pentagon

Der Inspector General des Pentagon ist ein unabhängiges Kontrollorgan, das in der Verfassung der USA verankert ist. Er gilt als „das verlängerte Auge, Ohr und Gewissen“ des US-Verteidigungsministers. Er untersucht nicht nur die Kosten der Streitkräfte, sondern auch ihre Verbrechen und ist der Inspektor für die Qualität der Waffen und der Ausbildung der Truppe. Die Einrichtung stammt aus der Tradition des aufgeklärten 18. Jahrhunderts. Sie wurde in den USA eingeführt durch den preußischen General von Steuben, der noch Friedrich dem II. von Preußen gehorchte und General Washington im Unabhängigkeitskrieg diente. Joseph E. Schmitz, derzeitiger Inspector General des Pentagon, berichtet.

Erstausstrahlung am 06.06.2005

Die Fratze des Barbaren

Der letzte der Nürnberger Kriegsverbrecher Prozesse hatte den Namen „OKW-Prozess“ und richtete sich gegen hohe deutsche Militärs. Stellvertretend für das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) und die Elite des deutschen Militärs wurden angeklagt: Feldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb, die Panzergeneräle Hoth und Reinhardt, der Generalstäbler Warlimont, sowie verschiedene Front- und Etappenbefehlshaber. Es war eindeutig, dass unter dem Verantwortungsbereich dieser Generäle Kriegsverbrechen begangen worden waren, sagt der Historiker Jörg Friedrich, verwirrend aber für die Richter und Prozessbeobachter war zugleich, dass niemand den Angeklagten, wenn man ihre Erscheinung ansah, diese Verbrechen zutraute. Wo liegt der Punkt, an dem zivilisierte Menschen dennoch zu „Instrumenten der Vernichtungswut“ werden? Der Prozess enthüllte keine „Fratze des Barbaren“, sondern beleuchtete voll den Umschlag von militärischer Schwäche in Brutalität, wie sie für den Krieg charakteristisch ist.

Erstausstrahlung am 03.11.1996